Alzheimer-Demenz ist nicht einfach Vergesslichkeit im Alter. Es ist eine progressive Krankheit, die das Gehirn systematisch zerstört - und die meisten Menschen, die an Demenz leiden, haben Alzheimer. Weltweit ist sie für 60 bis 80 Prozent aller Demenzfälle verantwortlich. Im Jahr 2025 leben allein in den USA 7,2 Millionen Menschen über 65 mit Alzheimer-Demenz. Diese Zahl wird bis 2060 auf fast 14 Millionen ansteigen. Die Krankheit beginnt leise: mit kleinen Lücken im Gedächtnis, die man leicht als normal abtut. Doch sie verschlimmert sich - und mit ihr die Abhängigkeit vom Umfeld.
Im Gehirn von Menschen mit Alzheimer sammeln sich zwei schädliche Eiweißstrukturen an: Amyloid-Plaques und Tau-Nebenfäden. Amyloid-Plaques sind Klumpen aus abnormalem Eiweiß, die zwischen den Nervenzellen entstehen. Tau-Nebenfäden sind verdrehte Fasern innerhalb der Zellen, die normalerweise den Zelltransport stützen. Bei Alzheimer verklumpen sie und blockieren diesen Transport. Die Folge: Nervenzellen sterben ab - besonders im Hippocampus, dem Zentrum für Erinnerungen. Ohne diese Zellen können neue Erinnerungen nicht gebildet werden. Das ist der Grund, warum Menschen mit Alzheimer oft nicht mehr wissen, was sie gerade essen oder warum sie in ein Zimmer gingen.
Die Krankheit verläuft in sieben Stufen. In den frühen Stadien merken Betroffene selbst, dass etwas nicht stimmt. Sie vergessen Namen, wiederholen Fragen oder verlieren Dinge. In der mittleren Phase wird es ernst: Sie verwechseln Familienmitglieder, geraten in fremden Straßen verloren, werden aggressiv oder ängstlich. In der letzten Phase verlieren sie die Fähigkeit, zu sprechen, zu essen oder sich selbst zu versorgen. Sie liegen oft bettlägerig und brauchen rund um die Uhr Pflege. Die Lebenserwartung nach Diagnose liegt durchschnittlich bei 4 bis 8 Jahren - aber manche leben noch 20 Jahre damit.
Früher war die Diagnose eine Ausschlussdiagnose: Alles andere wurde ausgeschlossen, und wenn das Gedächtnis immer schlechter wurde, hieß es Alzheimer. Heute gibt es konkrete Nachweise. Bluttests, Liquoruntersuchungen und bildgebende Verfahren zeigen die Krankheit direkt. Der Liquor - die Flüssigkeit um Gehirn und Rückenmark - enthält bei Alzheimer-Patienten weniger Amyloid-Beta 42 und mehr phosphoryliertes Tau. Das ist ein klares Signal. Amyloid-PET-Scans zeigen die Plaques im Gehirn mit 92 Prozent Genauigkeit. Tau-PET-Scans erkennen die Fasern mit 78 Prozent Trefferquote.
Doch hier liegt das Problem: Nur 35 Prozent der medizinischen Einrichtungen in den USA haben diese Scans. In Deutschland und anderen europäischen Ländern ist die Verfügbarkeit noch geringer. Die Kosten liegen bei bis zu 5.000 Euro pro Scan. Deshalb wird immer mehr auf Bluttests gesetzt. Der PrecivityAD2-Test, der 2024 validiert wurde, erreicht 97 Prozent Übereinstimmung mit dem PET-Scan - und kostet nur 500 Euro. Das könnte die Diagnose für viele zugänglich machen.
Ein weiteres Hindernis: Die Diagnose dauert durchschnittlich 18 Monate, nachdem erste Symptome auftreten. Viele Ärzte ignorieren frühe Anzeichen oder schreiben sie auf „Alter“. Dabei wäre eine frühe Diagnose entscheidend - denn die neuen Medikamente wirken nur, wenn sie früh genug beginnen.
Bis vor wenigen Jahren gab es nur zwei Arten von Medikamenten, die die Symptome leicht lindern konnten - aber nicht die Krankheit aufhielten. Cholinesterase-Hemmer wie Donepezil, Rivastigmin und Galantamin erhöhen den Botenstoff Acetylcholin, der für Gedächtnis und Lernen wichtig ist. Sie helfen bei 40 bis 50 Prozent der Patienten - aber nur für drei bis sechs Monate. Memantin, ein NMDA-Antagonist, reguliert Glutamat und verlangsamt den Abbau bei mittlerer bis schwerer Demenz um 20 bis 30 Prozent.
Seit 2023 hat sich das geändert. Mit Lecanemab (Leqembi) und Donanemab wurden die ersten Medikamente zugelassen, die die Krankheit selbst beeinflussen - nicht nur die Symptome. Beide sind Monoklonale Antikörper, die Amyloid-Plaques abbauen. In der CLARITY AD-Studie mit 1.795 Patienten verlangsamte Lecanemab den kognitiven Abbau um 27 Prozent über 18 Monate. Donanemab zeigte sogar 35 Prozent Reduktion in der TRAILBLAZER-ALZ 2-Studie. Das klingt nach einem Durchbruch.
Aber es gibt einen Haken: Diese Medikamente können schwere Nebenwirkungen haben. ARIA - Amyloid-Related Imaging Abnormalities - sind Hirnschwellungen oder Blutungen, die durch das Abbauen der Plaques entstehen. Bei Lecanemab tritt ARIA bei 12,5 Prozent der Patienten auf, bei Donanemab bei 24 Prozent. Das bedeutet: Jeder vierte Patient braucht monatliche MRI-Scans, um Komplikationen früh zu erkennen. Viele Familien berichten, dass diese Überwachung belastender ist als die Krankheit selbst.
Und dann ist da noch der Preis: 26.500 Dollar pro Jahr. In den USA deckt Medicare 65 Prozent der Kosten, aber viele Patienten müssen noch 1.000 Euro oder mehr selbst zahlen. In Deutschland und anderen Ländern ist die Erstattung noch unklar. Bis März 2025 wurden in den USA nur 45.000 Menschen mit Lecanemab behandelt - das sind nur drei Prozent der Menschen, die dafür infrage kommen.
Medikamente allein reichen nicht. Die beste Unterstützung kommt aus dem Alltag. Die FINGER-Studie, eine der größten Langzeitstudien zur Demenzprävention, zeigte: Wer vier Dinge kombiniert - gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, kognitive Trainingseinheiten und Blutdruckkontrolle - reduziert das Risiko eines kognitiven Abfalls um 25 Prozent in zwei Jahren. Das ist mehr als jedes Medikament bisher erreicht hat.
Auch kognitive Stimulationstherapie (CST) hilft. In einer Meta-Analyse von 12 Studien mit über 1.800 Patienten verbesserte sich die kognitive Leistung um 1,5 Punkte auf der ADAS-cog-Skala - eine messbare, wenn auch kleine Verbesserung. Aber für Betroffene bedeutet das: Sie können länger Gespräche führen, sich an Namen erinnern, einfache Aufgaben erledigen. Das ist nicht Heilung - aber es ist Lebensqualität.
Und dann gibt es noch die nicht-medizinischen Ansätze: Musiktherapie, Erinnerungstherapie mit Fotos und Familienalben, Hundetherapie. Viele Pflegende berichten, dass diese Methoden die Aggression reduzieren, den Schlaf verbessern und die Stimmung heben. Sie sind billig, sicher und oft wirksamer als Pillen.
Die neue Medizin ist da - aber sie erreicht kaum die Menschen, die sie brauchen. Nur 15 Prozent der Patienten, die für Lecanemab oder Donanemab infrage kommen, erhalten sie. Warum?
Und dann ist da noch die Pflege: 85 Prozent der Angehörigen leiden unter starkem emotionalen Stress. 40 Prozent entwickeln Depressionen. 60 Prozent reduzieren ihre Arbeitszeit - und verlieren im Durchschnitt 18.200 Dollar pro Jahr an Einkommen. Kein Medikament kann das ersetzen.
Die Forschung geht weiter - und sie geht in neue Richtungen. Lecanemab und Donanemab greifen nur das Amyloid an. Aber viele Experten glauben jetzt: Alzheimer ist kein Ein-Problem-Krankheit. Es ist eine Kombination aus Amyloid, Tau, Entzündung, Stoffwechselstörungen und Gefäßschäden.
27 klinische Studien testen gerade Kombinationen: Amyloid-Medikamente plus Tau-Hemmer, oder Anti-Entzündungsmittel, oder Medikamente, die die Energieversorgung der Nervenzellen verbessern. ALZ-801, ein orales Medikament, zeigte in einer Studie bei Menschen mit zwei APOE-e4-Genen - einem hohen Risikofaktor - eine Reduktion des kognitiven Abfalls um 81 Prozent. Das könnte eine personalisierte Therapie werden: Behandlung nach Genprofil.
Bluttests werden standardmäßig. In fünf Jahren könnte man mit einem einfachen Bluttest sagen: „Sie haben Alzheimer im Frühstadium - hier ist Ihr Behandlungsplan.“
Und dann gibt es die Prävention. Dr. Carol Brayne von der Universität Cambridge sagt: „40 Prozent aller Demenzen könnten verhindert oder verzögert werden, wenn wir in der Mitte des Lebens Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Hörschäden und Bewegungsmangel angehen.“ Das ist die größte Hoffnung: Nicht nur zu behandeln - sondern zu verhindern.
Wenn Sie oder jemand in Ihrer Familie Anzeichen von Gedächtnisverlust haben:
Es ist kein Wundermittel da - aber es ist mehr Hoffnung als je zuvor. Die Krankheit ist immer noch schwer, aber sie ist nicht mehr unbeherrschbar. Die Zukunft liegt nicht in einer einzigen Pille, sondern in einer Kombination aus Früherkennung, gezielter Therapie und einem Leben, das das Gehirn stärkt - nicht schwächt.