Canagliflozin und Amputationsrisiko: Was die aktuelle Forschung sagt und wie man es verhindert

Canagliflozin und Amputationsrisiko: Was die aktuelle Forschung sagt und wie man es verhindert
Henriette Vogelsang 10 Dezember 2025 1 Kommentare

Amputationsrisiko-Check für Canagliflozin-Nutzer

Eigene Risikofaktoren eintragen

Wenn Sie an Typ-2-Diabetes leiden und Ihr Arzt Ihnen Canagliflozin verschrieben hat, haben Sie vielleicht schon von einem seltsamen Risiko gehört: Amputationen an den Beinen. Es klingt dramatisch. Aber ist es wirklich so gefährlich? Und was können Sie tun, um sich zu schützen?

Was ist Canagliflozin und warum wird es verschrieben?

Canagliflozin, verkauft unter dem Markennamen INVOKANA, gehört zu einer Gruppe von Diabetes-Medikamenten, die als SGLT2-Hemmer bezeichnet werden. Sie funktionieren nicht wie Insulin oder Metformin. Stattdessen zwingen sie die Nieren, mehr Zucker über den Urin auszuscheiden. Das senkt den Blutzuckerspiegel - und führt oft auch zu leichtem Gewichtsverlust und niedrigerem Blutdruck. Für viele Menschen mit Typ-2-Diabetes, besonders denen mit Herzproblemen oder Nierenerkrankungen, ist das ein großer Vorteil.

Canagliflozin wurde 2013 in den USA zugelassen. Seitdem haben Millionen Menschen es eingenommen. Die Vorteile sind klar: Es senkt das Risiko für Herzversagen und verlangsamt den Fortschritt von Nierenschäden. Das ist wichtig. Doch dann kam 2017 eine erschreckende Nachricht: In einer großen Studie namens CANVAS stieg die Zahl der Amputationen bei Patienten, die Canagliflozin nahmen, fast auf das Doppelte im Vergleich zu denen, die ein Placebo erhielten.

Wie groß ist das Risiko wirklich?

Die Zahlen klingen beängstigend: 5,5 Amputationen pro 1.000 Patienten pro Jahr bei der höheren Dosis (300 mg) versus 2,8 bei Placebo. Das klingt nach einer hohen Zahl - aber die Realität ist nuancierter.

Die meisten dieser Amputationen waren klein: Zehen oder Teile des Fußes. Nur etwa 20 % waren größere Eingriffe, die oberhalb des Knöchels erfolgten. Das ist kein Unterschied zwischen „nur ein Zeh“ und „komplette Lähmung“ - aber es ist auch kein kleines Problem. Jede Amputation verändert das Leben. Sie beeinträchtigt die Mobilität, erhöht das Risiko für weitere Infektionen und kann zu Depressionen führen.

Und hier ist der entscheidende Punkt: Das Risiko ist nicht bei allen gleich hoch. Es betrifft vor allem Menschen, die bereits Risikofaktoren haben: schlechte Durchblutung der Beine (periphere Arterienerkrankung), Nervenschäden an den Füßen (Diabetische Neuropathie), frühere Fußgeschwüre oder sogar eine frühere Amputation. Bei diesen Patienten ist das Risiko deutlich höher. Wer keine dieser Vorerkrankungen hat, läuft kaum Gefahr.

Warum nur Canagliflozin - und nicht andere SGLT2-Hemmer?

Das ist die größte Überraschung in dieser Geschichte. Andere Medikamente aus derselben Gruppe - wie Empagliflozin (Jardiance) oder Dapagliflozin (Farxiga) - zeigen in zahlreichen Studien keinen ähnlichen Anstieg von Amputationen.

Ein 2023er Meta-Analyse mit über 74.000 Patienten bestätigte: Nur Canagliflozin war mit einem signifikant erhöhten Amputationsrisiko verbunden. Empagliflozin und Dapagliflozin zeigten gar einen leichten Trend zu weniger Amputationen. Warum? Die genaue Ursache ist noch unklar. Aber Forscher vermuten, dass Canagliflozin stärker den Blutdruck senkt und mehr Gewicht abbaut als die anderen. Bei Menschen mit bereits schlechter Durchblutung könnte das zu einem kritischen Blutflussabfall in den Füßen führen.

Das ist kein klassischer Nebenwirkungsschaden. Es ist ein Risiko, das sich nur bei bestimmten Voraussetzungen entfaltet. Und das macht es so schwer zu verstehen - und so wichtig, es richtig zu managen.

Close-up of a wounded foot with dark smoke being healed by a glowing podiatrist, surrounded by medical study charts.

Was hat die FDA gemacht - und warum wurde die Warnung wieder entfernt?

Im Juni 2017 forderte die US-Arzneimittelbehörde FDA eine Boxed Warning - die strengste Warnung, die es gibt. Sie stand auf dem Packungsbeilage: „Risiko von Amputationen der unteren Extremitäten.“

Doch im Januar 2020 wurde sie wieder entfernt. Warum? Weil die Behörde weitere Daten aus der CREDENCE-Studie auswertete. Diese Studie zeigte: Bei Patienten mit schwerer Nierenerkrankung und Diabetes brachte Canagliflozin enorme Vorteile - weniger Dialyse, weniger Herzinfarkte, weniger Todesfälle. Der Nutzen überwog das Risiko - aber nur, wenn man die richtigen Patienten auswählt.

Heute steht die Warnung nicht mehr als Boxed Warning da. Sie steht aber immer noch im Abschnitt „Warnungen und Vorsichtsmaßnahmen“ der Packungsbeilage. Und das ist wichtig: Die Gefahr ist nicht verschwunden. Sie ist nur besser verstanden.

Wie schützen Sie sich - konkrete Schritte für Patienten

Wenn Ihr Arzt Ihnen Canagliflozin verschreibt, ist das kein Grund zur Panik. Aber es ist ein Grund, aktiv zu werden.

  1. Füße täglich prüfen: Schauen Sie jeden Abend auf Ihre Füße. Nutzen Sie einen Spiegel, wenn Sie die Unterseite nicht sehen können. Suchen Sie nach Rötungen, Schwellungen, Wunden, Blasen oder dunklen Stellen. Ein kleiner Schnitt kann sich schnell zu einer Infektion entwickeln - besonders wenn Sie Nervenschäden haben und nichts spüren.
  2. Keine Barfußlaufen: Selbst im Haus. Ein Stein, ein heißer Boden, ein scharfer Gegenstand - alles kann eine Wunde verursachen, die Sie nicht spüren. Tragen Sie immer geschlossene, gut sitzende Schuhe.
  3. Regelmäßige Fußuntersuchungen: Lassen Sie Ihre Füße mindestens einmal pro Jahr von einem Fußspezialisten (Podologen) prüfen. Wenn Sie Risikofaktoren haben, sollte das alle 3-6 Monate geschehen.
  4. Blutfluss prüfen lassen: Ab Juni 2024 empfiehlt die American Diabetes Association, vor Beginn von Canagliflozin einen Ankle-Brachial-Index (ABI)-Test durchzuführen. Das ist eine einfache, schmerzfreie Messung, die zeigt, wie gut das Blut zu Ihren Beinen fließt. Ein Wert unter 0,9 bedeutet: stark eingeschränkte Durchblutung. In diesem Fall sollte Canagliflozin nicht verschrieben werden.
  5. Sofort melden: Wenn Sie plötzlich Schmerzen, Taubheit, Wärme oder eine Wunde an einem Fuß haben - rufen Sie Ihren Arzt an. Nicht warten. Eine Infektion kann innerhalb von Tagen schlimm werden.

Wer sollte Canagliflozin nicht nehmen?

Nicht jeder ist ein Kandidat. Laut aktuellen Leitlinien der American Diabetes Association und der University of Michigan sollte Canagliflozin nicht verschrieben werden, wenn Sie zwei oder mehr der folgenden Risikofaktoren haben:

  • Vorhandene periphere Arterienerkrankung (z. B. Claudicatio intermittens)
  • Diabetische Neuropathie (vermindertes Gefühl in den Füßen)
  • Frühere Fußgeschwür oder Ulcus
  • Vorherige Amputation am Fuß oder Bein
  • Aktives Rauchen
  • Absente Fußpulswahrnehmung (kein Puls an den Füßen zu spüren)

Für diese Patienten gibt es andere SGLT2-Hemmer - wie Jardiance oder Farxiga - die keine ähnliche Amputationsrate zeigen. Und es gibt viele andere Diabetes-Medikamente, die sicherer sind.

Warrior in diabetic care armor standing on a cliff, facing a battlefield of ulcers, with a temple labeled 'FOOT-STEP Study 2026' in the background.

Was sagen Patienten - echte Erfahrungen

Online-Foren wie PatientsLikeMe und Reddit zeigen, wie unterschiedlich die Erfahrungen sein können.

Ein Nutzer, u/DiabetesWarrior2020, schrieb im Mai 2022: „Nach 18 Monaten auf Invokana fand mein Podologe ein nicht heilendes Geschwür - ich verlor einen Zeh. Mein Endokrinologe wechselte mich sofort auf Jardiance.“

Ein anderer, u/SugarFreeLife, schrieb im März 2023: „Ich nehme Invokana seit 3 Jahren. Keine Fußprobleme. Mein HbA1c fiel von 8,5 % auf 6,2 %. Ich fühle mich besser denn je.“

Beide sind real. Beide sind gültig. Es geht nicht um „gut“ oder „schlecht“. Es geht darum, ob die Medikation zu Ihnen passt - und ob Sie die nötige Aufmerksamkeit für Ihre Füße aufbringen.

Was kommt als Nächstes?

Die Forschung geht weiter. Ein laufendes Studie namens FOOT-STEP (NCT05123705) untersucht, ob strukturierte Fußpflegeprogramme das Amputationsrisiko bei Canagliflozin-Patienten tatsächlich senken können. Die Ergebnisse werden 2026 vorliegen.

Auch Janssen, der Hersteller, arbeitet an einer neuen Version: INVOKANA XR. Dieses langsam freisetzende Präparat soll die Blutspiegel weniger stark schwanken lassen - und möglicherweise das Risiko senken. Es ist noch in der Entwicklung.

Und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Canagliflozin 2023 in ihre Liste der unverzichtbaren Medikamente aufgenommen - mit einem klaren Hinweis: „Nur bei sorgfältiger Fußüberwachung.“

Was bedeutet das für Sie?

Canagliflozin ist kein „böses“ Medikament. Es ist ein Werkzeug - und wie jedes Werkzeug muss es richtig eingesetzt werden. Es kann Leben retten - besonders bei Menschen mit Herz- oder Nierenproblemen. Aber es kann auch etwas zerstören, wenn man die Warnsignale ignoriert.

Wenn Sie es einnehmen: Prüfen Sie Ihre Füße täglich. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über Ihren Blutfluss. Fragen Sie nach einem ABI-Test. Teilen Sie jede Veränderung mit. Wenn Sie Risikofaktoren haben: Fragen Sie nach Alternativen.

Diabetes ist kein einfaches Krankheitsbild. Es braucht mehr als eine Tablette. Es braucht Aufmerksamkeit. Es braucht Verantwortung. Und mit der richtigen Vorsorge kann Canagliflozin ein Teil der Lösung sein - nicht der Grund für ein neues Problem.

1 Kommentare

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    Aileen Ferris

    Dezember 11, 2025 AT 01:21
    canagliflozin? ich hab das jahr lang genommen und mein fuß ist immer noch da. aber hey, wenn du glaubst, jede tablett ist ein todesschuss, dann nimm metformin. oder besser: esse weniger zucker. #dumbwarnings

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