Was passiert, wenn Medikamente falsch eingenommen werden?
Etwa jeder dritte Mensch, der zu Hause Medikamente einnimmt, macht mindestens einen Fehler pro Monat. Das ist kein seltenes Problem - es ist alltäglich. Ein Kind bekommt zu viel Paracetamol, weil die Flasche mit der falschen Konzentration genutzt wurde. Ein älterer Mensch vergisst, dass er ein Medikament bereits genommen hat, und nimmt eine zweite Dosis. Eine Frau nimmt weiterhin ein Antibiotikum, obwohl es vor zwei Tagen abgesetzt wurde. Solche Fehler klingen harmlos, aber sie führen jedes Jahr in den USA zu mehr als 1,5 Millionen vermeidbaren Verletzungen und steigern die Krankheitskosten massiv.
Die häufigsten Fehler zu Hause
Die meisten Medikationsfehler passieren nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Unwissenheit, Überforderung oder schlechter Kommunikation. Die häufigsten Fehler sind:
- Falsche Dosis: Zu viel oder zu wenig - besonders bei Kindern und älteren Menschen. Viele Eltern geben Paracetamol oder Ibuprofen zu selten oder zu oft, weil sie die Anweisungen nicht richtig verstehen.
- Falsches Medikament: Ein Medikament wird mit einem anderen verwechselt, besonders wenn sie ähnlich aussehen oder klingen. Auch die Verwechslung von Marken- und Generika ist häufig.
- Übersehene Dosen: Ein Medikament wird vergessen, besonders wenn es mehrmals täglich eingenommen werden muss. Oder man nimmt es zu oft, weil man denkt, es hat nicht gewirkt.
- Falsche Zeit: Medikamente, die mit oder ohne Essen eingenommen werden müssen, werden zur falschen Tageszeit genommen. Das verändert ihre Wirkung und kann gefährlich sein.
- Fortgesetzte Medikamente: Ein Arzt hat ein Medikament abgesetzt, aber der Patient nimmt es weiter, weil er vergessen hat, dass es nicht mehr nötig ist.
- Unautorisierte Medikamente: Menschen nehmen rezeptfreie Schmerzmittel, Husten- oder Erkältungsmittel, die bereits den gleichen Wirkstoff enthalten - und übertreiben so die Dosis.
Bei Kindern unter sechs Jahren passiert alle acht Minuten ein Medikationsfehler. Besonders gefährlich ist die Verwechslung von Kind- und Säuglingsformulierungen von Paracetamol. Die Säuglingslösung ist fünfmal konzentrierter als die für Kinder. Wer die Flasche nicht genau liest, gibt versehentlich eine tödliche Dosis.
Warum passieren diese Fehler so oft?
Es liegt nicht an Dummheit. Es liegt an Systemen, die nicht auf den Menschen zugeschnitten sind.
Die meisten Patienten vergessen 40 bis 80 % dessen, was ihnen der Arzt sagt. Das ist normal. Der Körper verarbeitet Stress, Angst und Überforderung anders als Informationen. Wenn ein Arzt sagt: „Nehmen Sie zweimal täglich 5 ml“, und der Patient nicht weiß, was 5 ml sind, oder nicht weiß, ob das mit oder ohne Essen sein muss, wird es schiefgehen.
Ältere Menschen, die fünf oder mehr Medikamente einnehmen, haben ein 30 % höheres Risiko für Fehler. Bei Menschen über 75 steigt es auf 38 %. Warum? Weil die Pillen in vielen Bechern liegen, die Etiketten verschwommen sind, die Zeitpläne kompliziert sind und niemand sie regelmäßig überprüft.
Bei Kindern ist es noch schwieriger. Viele Eltern wechseln zwischen Paracetamol und Ibuprofen, weil sie denken, das helfe besser. Aber diese Kombination erhöht das Risiko für Fehler um 47 %. Und viele Erkältungsmittel enthalten bereits Paracetamol - wer zusätzlich ein separates Schmerzmittel gibt, überschreitet die sichere Grenze.
Wie man Medikationsfehler vermeidet - praktische Schritte
Es gibt keine Wunderlösung. Aber es gibt konkrete, einfache Schritte, die das Risiko drastisch senken.
- Erstellen Sie eine aktuelle Medikamentenliste - alle Medikamente, rezeptpflichtig und rezeptfrei, inklusive Vitamine und pflanzliche Mittel. Aktualisieren Sie sie nach jedem Arztbesuch. Geben Sie diese Liste jedem Arzt, der Sie behandelt - auch beim Zahnarzt.
- Verwenden Sie einen Medikamentenplaner mit klaren Etiketten - nicht irgendeinen. Ein Planer, der für jede Tageszeit eine separate Fächer hat, und wo die Medikamente mit Name, Dosis und Zeit beschriftet sind. Schreiben Sie mit dicker Feder. Nutzen Sie Farben: Rot für morgens, Blau für abends.
- Lesen Sie jedes Etikett - immer - bevor Sie das Medikament geben. Nicht nur das erste Mal. Nicht nur wenn Sie vermuten, dass etwas anders ist. Jedes Mal. Die Konzentration, das Alter, das Gewicht - alles muss passen.
- Vermeiden Sie die Kombination von Schmerz- und Erkältungsmitteln - besonders bei Kindern. Wenn Ihr Kind ein Erkältungssirup bekommt, prüfen Sie die Zutatenliste. Steht „Paracetamol“ oder „Acetaminophen“ drin? Dann geben Sie kein zusätzliches Fiebermittel.
- Verwenden Sie den „Teach-Back“-Methode - wenn Ihnen ein Arzt etwas erklärt, wiederholen Sie es in Ihren eigenen Worten: „Also, ich gebe ihm jeden Morgen 3 ml, und zwar vor dem Frühstück, und das für fünf Tage?“ Wenn der Arzt sagt „Ja“, dann haben Sie es richtig verstanden. Wenn er zögert, fragen Sie nochmal.
- Prüfen Sie Ablaufdaten - Medikamente, die über das Haltbarkeitsdatum hinaus verwendet werden, können unwirksam oder sogar giftig sein. Besonders Antibiotika und Insulin verlieren ihre Wirkung schnell.
- Vermeiden Sie das Wechseln zwischen Paracetamol und Ibuprofen - es bringt keinen zusätzlichen Nutzen, aber erhöht das Risiko für falsche Dosierungen. Wählen Sie eines und halten Sie sich daran.
Was tun, wenn ein Fehler passiert ist?
Wenn Sie merken, dass Sie ein Medikament falsch gegeben haben - z. B. zu viel, zu oft oder das falsche - dann handeln Sie sofort.
- Halten Sie die Medikamentenverpackung bereit. Die Dosierung, der Wirkstoff und das Ablaufdatum stehen drauf.
- Suchen Sie nicht im Internet nach Antworten. Die Informationen dort sind oft falsch oder verwirrend.
- Rufen Sie die Vergiftungsinformation an - in Deutschland ist das die Nummer 06131 19240. Sie sind 24 Stunden erreichbar, sprechen Deutsch und wissen genau, was zu tun ist.
- Gehen Sie nicht zum Arzt, ohne vorher angerufen zu haben. Manchmal ist ein Anruf genug. Manchmal braucht es eine Notaufnahme. Die Vergiftungsinformation sagt Ihnen, was nötig ist.
Warum ist das so wichtig - und warum bleibt es ein Problem?
Medikationsfehler sind nicht nur ein medizinisches Problem. Sie sind ein Systemproblem. Krankenhäuser entlassen Patienten, ohne sicherzustellen, dass sie die Medikamente verstehen. Apotheken geben Pillen aus, ohne zu fragen, ob jemand sie richtig einnimmt. Ärzte schreiben Rezepte, ohne zu prüfen, ob der Patient sie lesen kann.
Und trotz all der Forschung - von der WHO bis zur FDA - bleibt die Zahl der Fehler hoch. 41,6 % der Pflegekräfte, die zu Hause arbeiten, geben zu, dass sie innerhalb eines Jahres einen Fehler gemacht haben. Fast jeder Dritte, der Medikamente zu Hause nimmt, ist betroffen.
Die Lösung liegt nicht in teuren Technologien, sondern in einfachen, menschlichen Schritten: klarer Kommunikation, gut beschrifteten Behältern, und dem Mut, zu fragen - auch wenn es peinlich scheint.
Was Eltern und Pflegende besonders beachten sollten
Wenn Sie ein Kind oder einen älteren Menschen betreuen, gelten einige Regeln besonders:
- Kindermedikamente sind nicht „einfach weniger“ von Erwachsenenmedikamenten. Sie sind chemisch anders. Geben Sie niemals ein Erwachsenenmedikament, auch nicht in kleiner Dosis, an ein Kind.
- Verwenden Sie immer die mitgelieferte Messpipette oder Spritze - nie einen Esslöffel. Ein Esslöffel variiert von 10 bis 15 ml. Das ist zu viel - oder zu wenig.
- Halten Sie Medikamente außer Reichweite von Kindern. Selbst wenn sie in einer Schublade liegen - Kinder öffnen alles.
- Reduzieren Sie die Anzahl der Medikamente. Fragt den Arzt: „Können wir eines davon weglassen?“ Oft ist weniger mehr.
- Erstellen Sie einen Wochenplan. Schreiben Sie auf: Montag, 8 Uhr - Antibiotikum. Dienstag, 19 Uhr - Blutdruckmedikament. Hängen Sie ihn an die Küchentür. Jeden Tag.
Was die Apotheke tun kann
Die Apotheke ist Ihr letzter Sicherheitsanker. Nutzen Sie sie.
- Fragen Sie beim Abholen: „Wie nehme ich das genau?“
- Fragen Sie: „Kann ich das mit meinem anderen Medikament kombinieren?“
- Fragen Sie: „Ist das das gleiche wie das, was ich letztes Mal hatte?“ - besonders wenn das Etikett anders aussieht.
- Fragen Sie: „Gibt es eine einfachere Form?“ - z. B. eine Tablette statt Flüssigkeit, oder eine einmal tägliche Dosis statt dreimal.
Ein Apotheker ist kein Verkäufer. Er ist ein Medikamentenspezialist. Nutzen Sie seine Expertise - und zwar regelmäßig.